14.10.04

amusing quarrel, in the words of pd "virtue dictatorship vs. gattaca".

http://www.radicalphilosophy.com/print.asp?editorial_id=10101

"According to a recent article in The Observer (10 October 1999) the fashionable dinner tables of German society are buzzing with controversy over `the death of critical theory and the future of metaphysics'. The article refers to a debate provoked by a conference address given at Elmau in Bavaria last July by Peter Sloterdijk. His paper, `Regeln fur den Menschenpark : Ein Antwortschreiben zum Brief über den Humanismus' (Rules for the Human Theme-Park: A Reply to the Letter on Humanism), was addressed to an international conference on `Philosophy after Heidegger'. Copies of the address began circulating among academics shortly after the conference. Subsequently, two heavily critical articles were published in the national press. Sloterdijk's bad-tempered response to these articles (Die Zeit, 9 September 1999) has generated an animated quarrel, whose participants have included Manfred Frank, Ernst Tugendhat, Ronald Dworkin and Slavoj Zizek, among others."

http://www.zeit.de/archiv/1999/37/199937.sloterdijk_.xml


"Sehr geehrter Herr Habermas,

Gerüchte reisen bekanntlich schnell. Irgendjemand hat einmal gesagt, sie reisen so schnell wie der böse Wille. Inzwischen ist auch mir, als letztem Glied in der geflüsterten Kette, mit einer Verzögerung von nur wenigen Wochen, sogar an meinem Ferienort im Süden zu Ohren gekommen, was Sie über mich und meinen Elmauer Vortrag zum Humanismusbrief von Martin Heidegger verbreitet haben sollen, mit Worten, die eher aus dem polemischen Reservoir Ihres politischen Wortschatzes stammen, wobei der Ausdruck "jungkonservativ" eine große Rolle spielt.

Mit Rücksicht darauf, dass es zwischen uns einmal hellere Tage gegeben hat, sogar die unausgeführte Vorskizze zu einer Freundschaft, und weil ich meine Erinnerungen an die Hochachtung, die ich für Sie als Verfasser einiger für mich und meine Generation lehrreicher Bücher empfand, nicht im Affekt verwerfen will, schreibe ich Ihnen hiermit, um die Voraussetzungen für eine Rückkehr zu dialogischen, nicht diffamierenden Verständigungsformen von meiner Seite her zu erfüllen. Ich tue den ersten Schritt, obwohl es Ihnen der Situation nach oblegen hätte, ihn zu machen. Ich honoriere den Bonus des Älteren, den Sie in Bezug auf mich genießen. Ich betrachte bis auf weiteres Ihre Auslassungen als bloße Irrtümer, die Sie revidieren können, und Ihre Urteile als Ausdrücke eines Zustands, von dem eine Rückkehr in gemäßigte Formen noch möglich ist.

Bitte beachten Sie die Formulierung "bis auf weiteres". Sie drückt aus, dass ich der Obergrenze meiner Toleranz nahe bin. Sie haben, Herr Habermas, mit zahlreichen Leuten über mich geredet, niemals mit mir. In unserem argumentierenden Gewerbe ist das bedenklich; bei einem Theoretiker des demokratischen Dialogs ist es unverständlich. Mit Ihren Reden haben Sie, um nach dem zu urteilen, was ich im indirekten Rücklauf höre, für Aufregung gesorgt. Über Wochen hin, scheint es, haben Sie im Groben gepoltert und im Feinen agitiert. Sie haben zwischen Hamburg und Jerusalem umhertelefoniert, um andere zu Ihrem Irrtum zu bekehren. Sie haben Kollegen, die meine Elmauer Rede bedenkenswert fanden, sogar massiv unter Druck gesetzt. Mehr noch, Sie haben Raubkopien des Textes angefertigt (der Ihnen privatim überlassen worden war) und diese, unter Verletzung aller guten kollegialen, akademischen und publizistischen Sitten, an Journalisten, die Ihre Schüler waren und sind, geschickt, begleitet mit einer expliziten Anleitung zum Falschlesen und mit einer Aufforderung zum Handeln. Sie haben Teilnehmer der Elmauer Tagung mit latent erpresserischen Vorwürfen überschüttet, dass sie in situ nicht so exzentrisch wie Sie auf meine Rede reagiert hatten. Sie haben bei einem Mitarbeiter der ZEIT sowie bei einem Autor des Spiegels Alarmartikel in Auftrag gegeben, bei denen Ihr Name nicht fallen sollte. Zuerst blies Ihr Schüler Assheuer ins Horn, dann hat auch der Mohr seine Schuldigkeit getan.

...

Das Wesen Kritischer Theorie wird in der Dämmerung offenkundig. Darf ich notieren, was ich jetzt sehe? In ihrer älteren Version (Adorno) war die Frankfurter Schule ein gnostischer George-Kreis von links; sie lancierte die wunderbar hochmütige Initiative, eine ganze Generation in verfeinernder Absicht zu verführen. Sie löste eine tiefe Wirkung aus, die wir unter der Formel vom Eingedenken der Natur im Subjekt zusammenfassen können. In ihrer jüngeren Version (Habermas) war sie ein in Latenz gehaltener Jakobinismus - eine sozialliberale Version der Tugenddiktatur (in Verbindung mit journalistischem und akademischem Karrierismus). Beide Systeme, wenn sie mächtig werden, stellen für normale Demokratien Gefährdungsfaktoren dar - das ältere in nur geringem Maß, weil es aus inneren Gründen nie populär werden kann, das jüngere jedoch umso mehr, weil es überaus häufige und populäre Affekte - das Ressentiment und die Lust am Bessersein - organisiert.

...

Dass Sie, dieser große Kommunikator, dieser vom eigenen Nicht-Faschismus durchdrungene Diskursethiker aus Deutschland (Ihr nachweislich brüchiges Axiom lautet ja: Faschisten sind immer die anderen), die Medien so zum Einsatz bringen, wie dieser Vorfall es bezeugt, gibt mir Gelegenheit zu bemerken, wie im Konflikt Ihre liberale Maske zerfällt. Ihre diskursethischen Vorwände rücken zunehmend zur Seite und lassen robustere Motive erkennen. Ich brauche nur in dieser Woche die ZEIT zu lesen und den Spiegel, um zu wissen, woran ich mit Ihnen und Ihren ethischen Projekten bin. Sie haben aufgehört, den zwanglosen Zwang des besseren Arguments zu bemühen. Jetzt sind Sie endlich bei dem nicht mehr ganz so zwanglosen Zwang der schnelleren Denunziation (und der schlechteren Lektüre) angekommen. (Ihr verstorbener Kollege Luhmann würde bemerken: also doch Umstellung von Moraldiskurs auf Agitation.)

Ach, lieber Habermas, würde ich am liebsten sagen, es ist vorbei. Die Zeit der Söhne mit dem zu guten und dem zu schlechten Gewissen geht vorüber. Was ist daran so traurig? Es gilt, ein neues Kapitel aufzuschlagen. Was ich philosophisch als Theoretiker des humanen Traums dazu beitragen wollte, zeigen meine beiden letzten Bücher.

Die Kritische Theorie ist an diesem 2. September gestorben. Sie war seit längerem bettlägerig, die mürrische alte Dame, jetzt ist sie ganz dahingegangen. Wir werden uns versammeln am Grab einer Epoche, um Bilanz zu ziehen, aber auch, um des Endes einer Hypokrisie zu gedenken. Denken heißt Danken, hatte Heidegger gesagt. Ich meine eher, Denken heißt Aufatmen.

Mit freundlichen Grüßen Ihr P. Sl."

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